Verschlammung, Klimawandel und der IS

Klima, 01.09.2016

Interview mit dem syrischen Ingenieur Hikmet H. über die Staudammprojekte Tishrin/Euphrat und den Assad-Damm bei Rakka.

Herr H.*, Sie leben als syrischer Flüchtling in Deutschland. Wo und wie haben Sie in Syrien gearbeitet?

Ich selber bin jesidischer Kurde aus Rojava, habe in Aleppo mein Ingenieurstudium beendet und betreute über Jahre hinweg die Staudammprojekte Tishrin/Euphrat und den Assad-Damm bei Rakka in Syrien. Zuletzt war ich technischer Leiter der Staudämme am Euphrat und für die Betrieb verantwortlich. Diese beiden Staudämme am Euphrat waren wichtige Meilensteine, um den Norden Syriens und die hier befindliche Landwirtschaft mit Wasser und Energie zu versorgen. Im Jahr 2013 musste ich fliehen.

 

Mussten Sie fliehen, weil Sie Kurde waren?

So ist es. Der Verhandlungen zwischen der Freie Syrischen Armee (FSA) und Al Nusra zur Übernahme von Rakka fanden in meinem Büro am Staudamm im Jahr 2013 statt. Ich habe "live" mitbekommen, wie die FSA diese Region an Al Nusra und später den IS abgeben musste. Die Übergänge zwischen beiden sind ja fließend. Ich wurde intern gewarnt und musste dann schnell fliehen. Zunächst bin ich in die Türkei gegangen, wo ich am Schwarzen Meer ein Staudammprojekt geleitet habe. Danach ging es weiter nach Deutschland. Sobald es in meiner Heimat sicherer ist, möchte ich aber wieder zurück an den Euphrat.

Euphrat-Stausee in der Türkei

In Europa gibt es viel Kritik an Staudammprojekten. Teilen Sie diese Kritik in Bezug auf Verschlammung, Klimaveränderung etc.?

Wir hatten am Tishrin- und am Assad-Damm in Rakka kaum Probleme mit Verschlammung der Seen. Natürlich ist der Wasserverlust durch Verdunstung gigantisch, teilweise bis zu 10 Liter/m² Seefläche am Tag.

 

War das Wasser sauber?

Ja, erst nach Rakka wird die Wasserqualität schlechter und ist als Trinkwasser nicht mehr zu gebrauchen.

 

Musste für Wasser und Strom bezahlt werden?

Nein, Zähler gab und gibt es nicht. Die noch verbliebenen arabischen Kollegen in Rakka haben mir erzählt, dass der IS eine Pauschale für Wasser und Strom von den Menschen nehmen wollte, allerdings konnte sie das wohl nicht bei der Bevölkerung durchsetzen.

Wie bewerten Sie den Angriff der Erdogan-AKP-Türkei auf die Euphratregion?

Schon zu syrischen Zeiten, in den späten neunziger Jahren, gab es Drohungen der Türkei, einzumarschieren; da ging es neben der Kurdenfrage (Öcalan hielt sich in Syrien auf) auch schon um das Wasser des Euphrat. Der Euphrat ist eine Lebensader. Vergessen sie den nationalistischen Unsinn, den Erdogan und seine Regierung dort erzählen - es geht um geostrategische Interessen. Wer den Zugang zum Euphrat hat, hat Macht im Nahen Osten. Macht, die man den Kurden nicht gönnt, auch wenn sie hier schon seit Jahrhunderten zu Hause sind. Da schickt man lieber Kriminelle aus Flüchtlingslagern und aus allen islamischen Ländern der Welt und bombardiert diese Mördertruppe unter türkischer Führung nach Rojava rein. Nur um ein bisschen Euphrat abzubekommen.

 

Wie wirkt der Klimawandel auf den Euphrat?

Der Euphrat wird noch wichtiger. Das Wasser wird knapper und der Streit darum noch erbitterter geführt werden als bisher schon.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

* Name aus Sicherheitsgründen geändert, der Redaktion ist der echte Name bekannt.
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